Der finale Abend für uns beim diesjährigen Festival Young Euro Classic wurde vom Concertgebouworkest YOUNG bestritten. Es ist in mehrfacher Hinsicht ein sehr junges Orchester: Erst 2019 gegründet besteht es aus Musikerinnen und Musikern im Alter von 14 bis 17 Jahren. Pate des Abends war der Dirigent Andrés Orozco-Estrada selbst, der sehr temperamentvoll von der Auswahl der Teilnehmenden und der Probenarbeit des jungen Ensembles erzählte. Auf dem Programm standen drei bekannte romantische »Blockbuster« sowie eine deutsche Erstaufführung.

Nach der Festivalhymne, die wieder von der Empore in der originalen Blechbläserfassung erklang, hörten wir die Fantasie-Ouvertüre zu »Romeo und Julia« von Peter Tschaikowski. Der Komponist hat diesem Frühwerk keine Opuszahl gegönnt, obwohl es doch eine großformatige, reife symphonische Dichtung ist voller Tragik, Dramatik und Leidenschaft. Das junge Orchester nahm die Herausforderung dieser vielfältigen Charaktere gerne an und meisterte sie bravourös! Besonders die schnellen Abschnitte wirkten sehr mitreißend, man glaubte förmlich die Euphorie der Jugendlichen, auf einer großen Bühne spielen zu dürfen, zu spüren.
Es folgte das bekannte 1. Violinkonzert g-Moll op. 26 von Max Bruch. Er selbst konnte die Popularität des Stücks nicht so recht nachvollziehen, hatte er doch nach eigener Einschätzung weit Besseres geschrieben… Wie auch immer, das Konzert ist bis heute Bruchs einziger »Hit« geblieben. Die junge Violinistin Maria Dueñas spielte den Solopart in einem schneeweißen elfenhaften Kleid. Auch dieses Werk kam den Gefühlswelten und der Lebenserfahrung der jungen Interpreten zugute: Die romantische Stimmung in der Partitur ist sehr schön zum Leben erweckt worden, sowohl im Orchester als auch von der Solistin. Kein vordergründig virtuoser Part, konnte sie sich vollends auf die Ausdrucksebene konzentrieren, und man versteht schon, weshalb das Konzert sich solcher Beliebtheit erfreut. Am Beginn kein komplizierter Sonatensatz, sondern ein markanter Auftakt, der Lust auf mehr macht und eigentlich fast zu schnell vorbei ist. Dann ein Adagio von außerordentlicher melodischer Schönheit! Und schließlich ein Finale mit dezent ungarischen Untertönen (weit dezenter als es Brahms in einigen Werken gemacht hat), gerade so viel, dass sich eine angenehme Schlusswürze ergibt. Großartig! (Ich kenne z. B. noch das großformatige 3. Violinkonzert, kompositorisch womöglich gelehrter als das 1. – aber ob das einen höheren Wert bedeutet als melodische Schönheiten, mag jeder für sich beurteilen.)

Nach der Pause hörten wir eine deutsche Erstaufführung: »the muscle that raises the wing« von der ebenfalls sehr jungen Carlijn Metselaar (*1989). Beschrieben wird hier das körperliche Gefühl der Muskeln vor einem Flug. Das Stück beginnt erstaunlich tonal, verdichtet sich nach und nach, die Harmonien werden komplizierter, und nach rund acht Minuten hebt es gleichsam ab – und ist damit auch schon vorbei. Erfrischend kurz also, die programmatische Aussage ist klar, der Einsatz der musikalischen Mittel ebenfalls: gut gemacht.
Mussorgskis »Bilder einer Ausstellung« in der Orchestrierung von Maurice Ravel bildeten den Abschluss des Konzerts. Ein Paradestück für jedes Orchester! Jedes Instrument hat Gelegenheit zu glänzen, besonders die vielen Holz- und Blechbläser und als Besonderheit natürlich das Saxophon im Bild Das alte Schloss. Schon der Gnom mit seinen skurrilen Wendungen ließ aufhorchen. Dann sehr markant: die Tuilerien und das Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen. Die Katakomben kommen dann sehr düster daher, und die Hütte der Baba-Jaga sehr kauzig und grotesk. Den Schluss bildet das Große Tor von Kyiv mit Glocken und allem, was ein Orchestertutti sonst zu bieten hat.
Der Jubel des Publikums kam unverzüglich, der ganze Saal stand und feierte die Interpreten für diese kraftvolle und gelungene Aufführung. Der Applaus wollte auch dann noch nicht enden, als sich die jungen Musikerinnen und Musiker schon längst in den Armen lagen und sich gegenseitig dankten und über dieses tolle Erlebnis freuten, dass sie sich und uns beschert hatten. Für uns war es ein würdiger Abschluss von YEC 2023 und unserer sechsteiligen Konzertreihe – und jetzt beginnt die Vorfreude auf Young Euro Classic 2024!

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