An unserem vierten Abend bei YEC 2023 präsentierte sich uns das Youth Symphony Orchestra of Uzbekistan, das schon 2020 am Festival teilnehmen wollte – was dann die Coronapandemie verhindert hat. Die Patin des Abends war die Schauspielerin Ursina Lardi, das Orchester wurde geleitet von Kamoliddin Urinbayev. Abermals vermissten wir die Notenpulte auf der Empore, die auf eine Festivalhymne mit Blechbläsern hingedeutet hätte. Als das Orchester auftrat, wurden wir überrascht: Die Bläser auf der Bühne spielten das bekannte Eingangsstück von Iván Fischer, und zwar zuerst tatsächlich das Blech, und später traten dann auch die Holzbläser hinzu. Insgesamt war das bisher die überzeugendste Fassung der Hymne in diesem Jahr.

Die Ouvertüre zu »Oberon« von Carl Maria von Weber bildete den Beginn des Konzertprogramms. Weitaus seltener gehört als die Ouvertüre zum »Freischütz«, brauchte sie eine Weile, um Schwung aufzunehmen. Dann aber holte Weber alles aus dem frühromantischen Orchesterapparat, was in seiner Epoche mit den vorhandenen Stilmitteln möglich war. Ein sehr kraftvoller und mitreißender Auftakt!
Anschließend hörten wir das erste von zwei zeitgenössischen Werken: »Sogdian Frescos« des usbekischen Komponisten Mustafo Bafoev. – Was für ein beeindruckendes Erlebnis … ich habe lange nicht mehr eine so originelle Musik gehört! Bafoev arbeitet sehr viel mit dem Schlagwerk, das dynamische Spektrum ist enorm, kontemplative Passagen mit langen Liegetönen und glitzernden Klangwirkungen wechseln sich ab mit lebhaften Blechsequenzen über quasi ostinat »groovender« Percussion, usbekische Folklore schwingt immer wieder im Hintergrund mit; und dabei spürt man, dass er das Instrumentarium perfekt beherrscht. Mitunter entsteht ja bei zeitgenössischen Kompositionen besonders im Forte ein kaum durchhörbarer Brei, der mich immer unbefriedigt hinterlässt: Entweder ist das die intendierte Klangwirkung (dann ist die Intention fragwürdig), oder sie ist das Resultat aus mangelndem handwerklichen Können (ebenso fragwürdig). Nicht so bei Bafoev. Er weiß genau, was er tut, und schafft so eine glasklare Aussage in einem ungewöhnlichen, aber in sich schlüssigen Idiom. Chapeau!
Das zweite moderne Werk war »Impatience of a Captive« des in Kuwait geborenen Amer Jaafar. Er wolle die traditionelle Musik seines Heimatlandes mit der klassischen westlichen Musik verbinden; was dabei herauskommt, hat mich in den ersten Minuten an Bafoev erinnert. Nur hat mich Jaafars Tonsprache weniger überzeugt und auch weniger gepackt. Im Laufe des Stück mehrten sich die distinkten Elemente: So gab es auch in diesem Stück längere kontemplative Abschnitte, in denen aber äußerst ungewöhnliches Instrumentarium verwendet wurde. Man hörte realistische Vogelstimmen (Uhus riefen), es wurde das Metallophon mit Bogen gespielt, und auch eine Donnertrommel kam zum Einsatz. Später glaube ich, einen Chor zu hören, und suchte vergeblich nach singenden Musikern im Orchester. Immer lauter wurde der Chor und dann war klar, dass es sich um ein Tonband handelte. Also noch ein Element, dass nicht täglich in der Orchestermusik anzutreffen ist. Der Chor verstummte langsam, in das Ende des Gesangs spielte das Metallophon glockenartige Oktavklänge, und damit endete das Stück.
Als letztes Werk vor der Pause erklang eine frühe Komposition von Frédéric Chopin, die Variationen über ein Thema aus Mozarts »Don Giovanni« B-Dur op. 2 für Klavier und Orchester. Dieses Stück passte m. E. nicht ins Konzertprogramm, und es hat mich auch gelangweilt. Der 17-jährige Chopin versucht sich an Orchestermusik, so etwas ist in dem Kontext des bereits Gehörten unpassend, und in Anbetracht der vielen anderen Musik an diesem Abend hätte es eines weiteren Stückes auch gar nicht bedurft. Nicht unerwähnt soll trotzdem bleiben, dass die Solistin Eleonora Kotlibulatova brilliant musizierte – aber das Stück an sich hätte es nicht gebraucht.

Nach der Pause freute ich mich auf den ewigen Platz 2 meiner absoluten Lieblingssymphonien: die 2. Symphonie e-Moll op. 27 von Sergej Rachmaninow. Leider währte die Freude nur kurz: Der Dirigent übersteuerte fast alle Tempi, besonders die langsamen, und zerstörte so die Stimmung des Werks. Schon die Largo-Einleitung des ersten Satzes war wesentlich zu schnell. Sie muss breit fließen, mit der Betonung auf breit. Das folgende Allegro moderato war eher ein con brio, mithin auch zu schnell. Das Scherzo fand ich ok, einzig der Beginn des Trios mit seinem plötzlichen ff-Schlag geriet seltsamerweise recht schwächlich. Im Adagio (abermals zu schnell; es schien immer, als wolle Urinbayev das Orchester antreiben) fiel mir dann auf, dass auch die Phrasierungen überzeichnet wurden – jedes Crescendo wurde zu laut, jedes Diminuendo zu leise, das Stück atmete nicht organisch, sondern so, als sei es an eine Herzlungenmaschine angeschlossen… Das Finale konnte den Gesamteindruck nicht korrigieren, auch die Schluss-Steigerung wurde überdreht, so dass das Orchester in den letzten Takten nicht mehr ordentlich zusammen war und man die Rhythmen nicht verstehen konnte.
Eine Zugabe hörten wir nicht – ich hätte auch keine gebraucht. Aber in den nächsten Tagen muss ich die Zweite Rachmaninow noch einmal hören, um meine Ohren zu entschädigen…

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