Young Euro Classic ist jedes Jahr ein Konzertereignis, auf das ich mich besonders freue. In dichter Folge finden hier viele spannende Konzertabende statt, und jedes Jahr wohne ich etlichen davon bei. In diesem Jahr sind es sechs Konzerte; das erste war am vergangenen Freitag das Eröffnungskonzert des Asian Youth Orchestra. Die jungen Musiker spielten Werke von Michail Glinka, Edward Elgar und Gustav Mahler.
Das Konzert begann mit der altbekannten Festivalhymne von Iván Fischer. Völlig unerhört war für mich die Bearbeitung für großes Orchester. Diese schien mir leider ziemlich unausgewogen, so als ob sie nicht vom Komponisten selbst angefertigt wurde… Pate des ersten Abends war Kai Wegner, Schirmherr von Young Euro Classic und Regierender Bürgermeister, der in seiner Rede betonte, dass dies seine erste Schirmherrschaft sei, aber nicht die letzte sein solle. Anschließend eröffnete Willi Steul, Vorsitzender des Fördervereins, das Festival.
Als erstes Werk erklang die Ouvertüre zu »Ruslan und Ludmila« von Michail Glinka. Sehr bekannte Musik, wie ich nach einigen Takten merkte, auch wenn mir der Titel nichts gesagt hätte. Das Orchester spielte außerordentlich virtuos: höchste Präzision in einem irren Tempo – das hätte ich nach der seltsamen Fassung der Festivalhymne nicht erwartet.
Es folgte das Cellokonzert e-Moll op. 85 von Edward Elgar. Eines meiner Lieblingswerke für diese Besetzung (nach dem von Dvořák), und eines, das dem melancholischen Grundcharakter des Cellos sehr entgegenkommt. Für manche Gemüter vielleicht zu sehr, denn das Werk bleibt in seiner Stimmung durchgängig ernst, dunkel, bisweilen fast depressiv. Alban Gerhardt spielte den Solopart auswendig und absolut souverän; wobei die virtuosen Elemente des Notentextes nie die Fähigkeiten des Solisten zur Schau stellen, sondern immer aus der musikalischen Aussage heraus entstehen. Das macht das Stück etwas undankbar, denn ein unbedarfter Hörer nimmt die technischen Schwierigkeiten als solche vielleicht gar nicht wahr. Ich selbst kenne das Werk gut, und zum ersten Mal erschien es mir recht kurz… Ob das an meiner Vertrautheit oder der Interpretation des Dirigenten Joseph Bastian lag, kann ich nicht sagen. Im langsamen Satz fiel mir aber die besondere Ruhe auf, die die Musik ausstrahle – das war definitiv das Verdienst der Interpreten. Sie ließen buchstäblich die Zeit stillstehen. Das hatte ich in diesem Stück noch nie empfunden.
Vor der Pause spielte der Solist noch eine Zugabe – ungewöhnlich, normalerweise waren Zugaben bei YEC immer unerwünscht gewesen. Den Namen des Stücks hatte ich nicht verstehen können, aber es gab wohl einen Bezug zum Orchester. Was dann kam, war ein witziges, tänzerisches Stück von erstaunlicher Polyphonie. Das von einem einzelnen Cello zu hören, war etwas Besonderes.
Nach der Pause brachten die jungen Musiker die 4. Symphonie in G-Dur von Gustav Mahler zu Gehör. Als letzte der sog. Wunderhorn-Symphonien steuert das ganze Geschehen auf den Finalsatz zu, ein Orchesterlied auf den Text »Wir genießen die himmlischen Freuden« mit Lydia Teuscher (Sopran) als Solistin. Die Symphonie beginnt jedoch mit dem charakteristischen Schellenmotiv, einer Stelle, die mich immer an eine Schlittenfahrt erinnert… Das Werk ist kleiner besetzt als andere Mahlersymphonien – mit vierfach Holz zwar, aber ohne Posaunen und Tuba. In G-Dur stehend, einer Tonart, in der häufig Volkslieder notiert sind, herrscht in ihr ein pastoraler Ton vor. Das spiegeln denn auch die Satzbezeichnungen wieder: »Bedächtig, nicht eilen – In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast – Ruhevoll. Poco adagio – Sehr behaglich«. Auch hier erlebte ich im langsamen Satz über weite Strecken eine Ruhe, die ich vorher nie in der Weise wahrgenommen hatte. Kurz vor dem Finale trat dann die Sängerin überraschend zwischen den Streichern hervor. Mit ihrer sehr schönen, angenehmen Stimme – ihre Worte waren auch gut zu verstehen – gab sie Mahlers Vierter eine besondere Farbe. Am Schluss endet Symphonie nicht, sie verschwindet ins Nichts… Die Spannung ließ erst nach, als der Dirigent langsam den Taktstock senkte und begeisterter Applaus einsetzte.
Meine Begleiter zeigten mir, was ich während der zweiten Konzerthälfte übersehen hatte: Der Solist des Cellokonzerts Alban Gerhardt hatte die ganze Symphonie im Orchester mitgespielt! Er hielt sich in der letzten Reihe der Celli im Hintergrund; beides sehr schöne Gesten der Bescheidenheit. Eine weitere Überraschung dann, als auch das Orchester noch eine Zugabe spielte: das Orchesterlied »Liebst du die Schönheit?« von Gustav Mahler, natürlich mit der wunderbaren Sopranistin. Auch das ein Novum – ein Orchesterlied hatte ich noch nie als Zugabe gehört. Schlussendlich trat als letzte Überraschung der CEO des Orchesters auf die Bühne und richtete einige Worte ans Publikum. So zählte er die insgesamt zwölf Regionen auf, aus denen die Musikerinnen und Musiker des Orchesters stammten, und ließ die betreffenden Teilnehmer jeweils aufstehen. Für jede Gruppe gab es Szenenapplaus.
Nach knapp drei Stunden endete das Eröffnungskonzert von YEC 2023 und wir wurden in die kühle Sommernacht entlassen.