Am zweiten Abend von »Young Euro Classic 2022« spielte das Bundesjugendorchester unter Marc Albrecht ein spannendes Programm, dessen Besonderheit darin bestand, dass beide Werke – so unterschiedlich sie auch sind – im selben Jahr entstanden sind, nämlich 1897: das Doppelkonzert op. 102 von Johannes Brahms und Gustav Mahlers 1. Symphonie.
Der Pate des Abends, Boris Aljinovic, führte sehr originell in das Konzert ein: Er habe in einem Wiener Kaffeehaus gesessen und die einleitenden Worte schreiben wollen, als er ein Gespräch zweier Herren am Nebentisch mithörte. Es waren Brahms und Mahler, die sich über eben diesen Abend unterhielten…

Nach dieser launigen Einführung erklang also das Doppelkonzert a-Moll op. 102 von Brahms in der seltenen Besetzung mit Violine (Antje Weithaas) und Violoncello (Maximilian Hornung). Ich schätze Brahms sehr, und dieses Werk ist eines meiner Lieblingsstücke von ihm. Die Interpretation war absolut hochkarätig: Albrecht dirigierte sehr engagiert, und die Musiker spielten exakt, ausdrucksvoll, aber mit der nordischen Ernsthaftigkeit, die der Musik von Brahms eigen ist. Hier zeigte sich in der Konzeption des Werks auch ein bedeutender Unterschied zum Cellokonzert Elgars vom Vorabend: Beides Werke in Moll, aber wo Elgar in abgrundtiefer Trauer versinkt, wirkt Brahms ernsthaft aber kraftvoll, und ist dabei aber voller romantischer Schönheit. Besonders im schwärmerischen Andante ist das zu spüren. Zeitgenossen fanden die in Oktaven geführten Soloinstrumente zum Teil hässlich; für mich strahlt gerade der Beginn des langsamen Satzes eine besondere zärtliche Wärme aus. Der ungarisch gefärbte Finalsatz (eine Verneigung vor Joseph Joachim, dem Violinisten der Uraufführung) bildet den temperamentvollen Schluss eines Konzerts, an dem ich ungefähr alles liebe – außer, dass ich es nicht selbst geschrieben habe.
Die beiden großartigen Solisten gaben anschließend noch eine witzige Zugabe: einen bayerischen Walzer von Jörg Widmann, Klarinettist und Komponist (er war Schüler des von mir sehr geschätzten Wolfgang Rihm). Hier wird ein ganzes Genre mit kompositorischen Mitteln der Moderne gekonnt auf die Schippe genommen – ein wunderbarer Spaß vor der Pause!

Die zweite Konzerthälfte war dann Gustav Mahler gewidmet: Es erklang seine 1. Symphonie in D-Dur. Im selben Jahr entstanden wie das Konzert von Brahms, haben wir es hier musikalisch mit einer anderen Welt zu tun. Mahler gehörte einer anderen Generation an als Brahms, er war 27 Jahre jünger und sollte die Symphonie ins 20. Jahrhundert führen. Das manifestierte sich schon mit seiner 1., die vom Publikum der Uraufführung auf Unverständnis stieß. Heute erkennen wir in ihr bereits die disparaten Elemente, die seine Symphonik ausmachen: das Zusammenspiel von Märschen, Walzern, Ländlern, Klezmermusik usw., die innovative Verwendung des zum Teil riesigen Orchesterapparats, auch die komplizierte Orchesterpolyphonie gibt es bereits in der 1. – es ist eigentlich alles da, was Mahler ausmacht. Das Bundesjugendorchester hat denn auch die Schwierigkeiten der Partitur bravourös gemeistert und die Spannungsbögen des einstündigen Werks sehr schön gehalten. Mehrere Male hatte ich Gänsehaut, so z. B. bei den wenigen Beckenschlägen im ersten Satz. Die Apotheose im Finale ist natürlich das Ziel des ganzen Werks, und als die sieben Hörner gegen Ende plötzlich aufstanden, hatte ich fast Tränen in den Augen. Die Wirkung der Musik in Kombination mit diesem optischen Effekt (sicher akustisch begründet) war überwältigend.
Eine Zugabe beschloss auch diesen Abend: das Vorspiel zum 3. Akt von Wagners »Lohengrin«. Man mag hier eine Art Versöhnung des Antisemiten Wagner mit dem Juden Mahler sehen; für mich war es ein feuriger Abschluss eines betont deutsch-österreichischen Programms – musikalisch und technisch brillant mit zwei wunderbaren Werken der Spätromantik.

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