Selten bin ich in der Philharmonie zu Gast, und selten höre ich ein großbesetztes Chorwerk. Am Dienstag war beides soweit: Chöre und Orchester der Humboldt-Universität zu Berlin gaben unter der Leitung von Constantin Alex die 8. Symphonie von Gustav Mahler zum besten. Mit reichlich Glück hatte ich im Dezember vier Karten erstanden, und so saßen wir nun hoch oben in Block D des ausverkauften Saals und freuten uns auf das seltene Spektakel.

Etwas verspätet begann der Aufzug der Musiker. Das dauerte geraume Zeit, denn nicht nur ein großes Orchester wollte auf die Bühne, sondern auch mehrere Chöre, die dazu sogar die kompletten Blöcke H und K hinter der Bühne beschlagnahmten. Der Kinderchor war in weinrot farblich abgesetzt, als letztes traten die acht Gesangssolisten und der Dirigent auf. Ich war gespannt und voller Vorfreude.

Mahlers Achte mit ihren beiden so unterschiedlich konzipierten Sätzen ist mir gut bekannt. Besonders angetan hat es mir der Kopfsatz mit dem lateinischen Pfingsthymnus »Veni creator spiritus«. Die Sonatensatzform ist gut nachvollziehbar, ich kenne die Abläufe und genieße besonders den Beginn der Durchführung mit seinen originellen Orchesterfarben und Modulationen im instrumentalen Abschnitt, später dann die dramatische Doppelfuge und den großen Höhepunkt am Übergang zur Reprise. Doch bereits zu Beginn hatte ich Gänsehaut, als Orgel und Chöre die ersten prächtigen Takte intonierten. Den ganzen Satz über ging mir das auch immer wieder so, zuletzt unmittelbar vor dem Schluss, als Mahler das Tempo zurücknimmt und mit einer pentatonischen Figur der Soprane in die über vier Takte gehaltene Subdominante führt, bevor ein langer, strahlender Es-Dur-Akkord diesen ersten Teil der Symphonie glanzvoll beschließt.

Es folgte eine lange Pause: Gute zwei Minuten war Stille im Saal – kein Husten, kein Klappern, kein Rascheln. Schließlich ging es mit einem pp-Beckenschlag und Tremolo in den Geigen weiter.
Im zweiten Teil hat Mahler die Schluss-Szene aus Goethes »Faust II« auf deutsch vertont. Manche sagen, die sei seine einzige Oper – in der Partitur gibt es auch Angaben für eine (halb)szenische Aufführung. Es beginnt mit einem langen instrumentalen Abschnitt, bevor Teile des Chors hinzutreten. Nach der Baritonarie »Ewiger Wonnebrand« folgt dann die des Pater Profundus, bei der es mir schien, als hätte der Dirigent Schwierigkeiten, die Masse an Musikern beieinander zu halten. Teilweise schwamm es deutlich, was mich allerdings in einem spät(est)romantischen Werk wie diesem weniger stört als etwa bei barocken oder zeitgenössischen Stücken. Vielleicht war aber auch gerade die Sorge, das Stück könnte zerfallen, der Grund dafür, dass der Dirigent insgesamt deutlich weniger mit dem Tempo arbeitete, als ich es von meiner Aufnahme mit Georg Solti gewohnt bin. So wurden auch an wichtigen Abschnitten Ritardandi weniger bis kaum ausgeführt, was ich mitunter schade fand. Letzten Endes tat das aber dem musikalischen Genuss keinen Abbruch, denn die Achte Mahler wirkt allein durch die schiere Klangmasse, die auf einen einwirkt, sowie natürlich durch die Art, wie er diese Massen handhabt.
Der letzte große magische, fast heilige Moment ist dann der Schlusschor »Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis«. Mysteriös der Beginn, dann in der Wiederholung mit vollem Orgelwerk. Dieser Chorsatz hatte eine geradezu spirituelle Wirkung auf mich, wie ich sie zuhause beim Hören von CD noch nicht erlebt habe. Es folgt die Schlussapotheose: mächtig, prächtig, feierlich, bombastisch. Die letzten Takte verklangen, und unser Beifall, obschon er volle zehn Minuten anhielt, konnte kaum die Eindrücke angemessen würdigen, derer wir Zeuge werden durften.

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