Am Montag fand unser dritter Abend bei Young Euro Classic 2025 statt. Das Bundesjugendorchester spielte unter Leitung von Michael Sanderling ein vielversprechendes Programm von Fazıl Say, Leonard Bernstein und Gustav Mahler.

Zu Beginn spielte das Orchester die Festivalfanfare von Iván Fischer in einer seltsam bearbeiteten Fassung: Das ganze Orchester war anwesend, aber es standen einzelne Musiker auf, die das Stück solistisch darboten. Das Resultat war eine Art Karikatur, die vielleicht nicht ernst gemeint war und den einen zu amüsieren vermochte – den anderen hingegen nicht.

Abermals hatte der Abend keinen Paten, nach der Begrüßung durch einen der Orchestermusiker wurde direkt das erste Werk präsentiert: die Ouvertüre »Ana Tanrıça« op. 75 von Fazıl Say. Ein sehr rhythmisches Stück, d. h. beinahe ausschließlich rhythmisch! Über weite Strecken empfand ich die Musik hauptsächlich als Lärm: Das Schlagwerk hatte immens viel zu tun, besonders große Trommel und Pauken, dazu dröhnte das Blech – vom Rest war wenig zu hören. Das Ganze in unaufhörlichen ungeraden Taktarten (5er, 7er, 11er…), die nach einer gewissen Zeit ermüdend wirken. Insgesamt also ein eher schwieriger Start in den Abend, wobei ich mich schon fragte, ob die schlechte Balance im Orchesterklang der Instrumentierung geschuldet war, oder ob die einzelnen Instrumentengruppen sich vielleicht nicht leicht dosieren ließen.

Es folgte die 1. Symphonie »Jeremiah« von Leonard Bernstein. 1943 entstanden ist die Symphonie das Frühwerk eines 25-jährigen Studenten, der damit versuchte, einen Kompositionswettbewerb zu gewinnen. Das gelang nicht, aber sein Lehrer mögliche dann eine Uraufführung 1944 in Pittsburgh. Das Stück ist dreisätzig, nach einem getragenen Beginn und einem sehr rhythmischen zweiten Satz endet die Symphonie mit einer Gesangsszene, die die Klagegesänge des Propheten Jeremiah vertont. Nach rund 25 Minuten war die Symphonie vorbei, was uns verwunderte, denn wir hatten die ersten beiden Sätze als einen empfunden und dachten somit, es käme noch etwas. Der zweite Satz zeigte aber mit seinen aggressiven Rhythmen und der kraftvollen, aber handwerklich makellosen Instrumentierung, wie es geht, und dass man das erste Werk des Abends tatsächlich nicht gebraucht hätte: so ähnlich es dem zweiten Satz Bernstein war, so viel schwächer war es auch.

Nach der Pause hörten wir die 4. Symphonie G-Dur von Gustav Mahler. Zuvor jedoch ergriff der Dirigent Dirk Kaftan das Wort und brachte dem Publikum das Werk inhaltlich näher. Das war eine wilkommene Abwechslung zum herkömmlichen Konzertablauf und brachte einige neue Informationen. Wir erhielten Einblick in die Probenarbeit und in die Deutung des Dirigenten, die zumindest dem unbedarften Hörer den Zugang erleichtern konnte, und auch mir neue Impulse zum Verständnis gab. So wurde auch das Konzertprogramm insgesamt erläutert: Grundidee war, die drei Weltreligionen zu vereinen durch die Stücke von Say (Islam), Bernstein (Judentum) und Mahler (Christentum) und so ein Zeichen für Völkerverständigung zu setzen.
Die Symphonie selbst wurde sehr temperamentvoll dargeboten, auch hier machte das Schlagwerk ordentlich Eindruck. Der Pauker hatte wirklich eine Menge Kraft, und hier bestätigte sich mein Eindruck, dass man insgesamt die Perkussion (und evtl. auch das Blech) etwas hätte zurücknehmen müssen – besonders bei den sehr lärmenden Stücken in der ersten Konzerthälfte.
Es gab aber auch genug zarte Stellen, der Mahler wurde am Ende wirklich schön und entschädigte uns für den doch etwas merkwürdigen Beginn.

Die Zugabe war dann wiederum etwas ganz Besonderes. Erst dachte ich, es käme der Schluss des langsamen Satzes aus Mahlers 4. noch einmal. Dann bog die Musik aber ab und es kamen Stellen aus dem Bernstein (und womöglich aus dem Say) hinzu. Ein Medley des ganzen Konzerts also! Das hatte ich so noch nicht erlebt. Schließlich fing das Orchester an zu summen – ein Chor, sehr originell! Dann standen einzelne Spieler auf und riefen Worte in den Raum: Frieden, Gesundheit, Liebe, Achtsamkeit u. ä. Eine Mahnung an ein menschliches Miteinander. Sehr wichtig und richtig in der aktuellen Zeit. Drei der Musiker traten, während der Chor noch summte, an die Vorderkante der Bühne und bedeuteten dem Publikum, in das Summen einzustimmen. Als dann der ganze Saal summte, teilten die drei den Publikumsraum und verwandelten die Zuhörer in einen dreistimmigen Chor! Was dann passierte, ist sicher von den Konzerten Jacob Colliers abgeguckt: Auf Handzeichen bewegten sich die drei Publikumschor-Stimmen diatonisch auf und ab und erzeugten so Harmoniewechsel, bis man sich zur finalen Tonika hochgearbeitet hatte – alles zu den sich immer weiter steigernden Orchesterklängen. Eine wahre self-made-Apotheose!
Ein Gemeinschaftserlebnis der ganz besonderen Art wurde uns hier beschert und hat so die eigentliche Botschaft des Abends erlebbar gemacht: Wir sind alles Menschen, ungeachtet unserer Religion, Weltanschauung oder anderer Dinge, die uns scheinbar trennen.

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