Am Freitag war ich zum ersten Mal in diesem Jahr im Konzerthaus zu Gast. Auf dem Programm standen hochinteressante Werke aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – einer meiner Lieblingsepochen: die 4. Symphonie von Jean Sibelius, Alban Bergs Violinkonzert und »Poème de l’extase« von Alexander Skrjabin. Das Konzerthausorchester musizierte unter Hannu Lintu, Solovioline spielte Leila Josefowicz.
Der Abend begann mit der 4. Symphonie von Jean Sibelius. Das symphonische Werk des Finnen ist mir in letzter Zeit sehr ans Herz gewachsen; alle Symphonien sind hochindividuelle, spannende und wunderbar tiefe Musik.
Die Vierte in a-Moll gilt als etwas »freudlos« und besonders ernst. Sie beginnt mit einem langsamen Satz (quasi adagio), der aus fast nichts zu bestehen scheint außer liegenden Akkorden und dunklen Klangfarben. (Ein Blick in die Partitur zeigt, dass dieser Eindruck trügt.) Das Scherzo endlich bringt Leben ins Spiel, auch gibt es hier zum ersten Mal Motive, die man als eingängig empfinden könnte. Es endet aber so plötzlich, dass man es kaum glauben mag! Dann folgt schon der nächste langsame Satz, ein Largo, also ein weiterer Ruhepol. Im Finale erklingen dann endlich wieder markante Ideen und auch wunderbare Sekundreibungen durch Vorhalte in den Streichern, die ich in ihrer Kühnheit besonders finnisch finde. Die in der Partitur vorgeschriebenen Glocken sind (wie häufig) mit Glockenspiel besetzt worden. Inzwischen habe ich mich an dieses Klangbild gewöhnt, obwohl es wohl nicht das ist, was der Komponist gemeint hat. Die Symphonie endet, wie sie begann: nicht mit Musik, sondern mit leeren Akkorden. Fahles a-Moll, Streicher, kein Diminuendo, kein Ritardando, Schluss. Dieses Ende macht ratlos, kann eine Symphonie so enden? Kann sie, wenn Sibelius schreibt. Große Kunst.
Nach der Pause erklang das Violinkonzert »Dem Andenken eines Engels« von Alban Berg. Als Requiem auf die jung an Kinderlähmung verstorbene Manon Gropius geschrieben, wurde es Bergs eigenes Requiem: Es ist sein letztes vollendetes Werk.
Das Konzert ist zweisätzig, beide Sätze sind wiederum zweiteilig. Eigentlich zwölftönig komponiert, finden sich viele tonale Elemente in der Musik. Schon die Reihe basiert auf konsonanten Dreiklängen, es erklingen ein Ländler und der Bachchoral »Es ist genug«. Überraschenderweise spielte die Solistin das komplizierte Stück auswendig.
Das Werk ist klanglich ungewohnt, strukturell kompliziert – und wartet trotzdem mit emotionalen Ausbrüchen auf, die einen enormen Eindruck machen. Ich habe das Konzert auf CD und im Konzert schon oft gehört und fand es spannend, wie anders an diesem Abend zum Teil die Balance der Orchestergruppen gewirkt hat. Im zweiten Satz etwa gibt es eine Passage, in der erst der Konzertmeister, später alle Violinen mit der Solistin in dieselbe Kantilene einstimmen und einen großen romantischen Gesang bilden. Diese Wirkung blieb seltsamerweise aus, die Stelle wirkte merkwürdig dünn. Insgesamt war es aber doch wieder ein beeindruckendes Erlebnis.
Den Abend beendete ein Werk des russischen Impressionismus, wie ich es nennen möchte: das Tongemälde »Poème de l’extase« op. 54 von Alexander Skrjabin. Ein riesiges Orchester war gefordert inkl. großem Schlagwerk und Orgel. Letztere habe ich tatsächlich gar nicht gehört, zu dicht war das Geflecht der Klänge und Klangfarben. Motivisch bietet das Stück nicht viel, es sind eher Strukturen und Farben, die den Inhalt der Musik ausmachen. Mich hat es an Debussys »La mer« erinnert. Das Werk endete in einer großen Apotheose, die dem ganzen Konzert einen glänzenden Abschluss gegeben hat.