Am Mittwoch war ich zum dritten Mal bei YEC 2019 im Konzerthaus. Und um es gleich zu sagen: Dieses Konzert war das bisher beste dieses Jahr. Mit Abstand. Die Nationale Jugendphilharmonie der Türkei spielte unter Cem Mansur Werke von Weber, Rachmaninow, Beethoven – und die Uraufführung einer Komposition von Füsun Köksal, einer türkischen Komponistin. Der Abend begann mit der Einführung des Paten Ulrich Deppendorf, der behutsam liberalere Verhältnisse in der Türkei anmahnte, indem er betonte, dass die Zeit der Diktatoren unter den Dirigenten glückerweise vorbei und das anwesende Orchester als Hoffnungsträger für eine künftig weltoffene Türkei zu sehen sei.

Als erstes Werk erklang die Ouvertüre zu »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber. Die vielleicht erste romantische Oper der Musikgeschichte beginnt düster, spannend, und steigert sich dann in ein so prachtvolles Orchestertutti, dass ich mich fragte, wer sich denn jemals von solcher Musik nicht angesprochen fühlen könnte. Von Weber glänzend gesetzt, von Mansur fein austariert – kraftvoll zwar und durchaus laut, aber dabei dosiert; und auch die Hörner machten mir diesmal Freude, die tadellos gestimmt waren und intonieren konnten…
Es folgte das Klavierkonzert Nr. 2 c-Moll op. 18 von Sergej Rachmaninow mit Gökhan Aybulus am Flügel. Dieses Konzert kenne ich sehr gut und freute mich, eines meiner Lieblingsklavierkonzerte wieder live zu erleben. Und es war eine Wonne! Ein wahrer Klangrausch in gut 30 Minuten, in denen der Pianist alles an Virtuosität aufzubieten hatte, was man sich vorstellen kann – und das alles aber nicht zum Selbstzweck, sondern für die tragisch-spätromantische, glühend-sehnsuchtsvolle und schmerzlich-schöne Aussage des Stückes. (Rachmaninow war nach seiner 1. Symphonie, die krachend durchfiel, jahrelang in Therapie, und das 2. Klavierkonzert war sein Ausweg aus der musikalischen Sprachlosigkeit. So hat er das Werk dann auch seinem Neurologen gewidmet.) 1901 entstanden, ist es viel moderner als man beim ersten Hören denken mag. Besonders harmonisch geht Rachmaninow neue Wege, so dass ich schon dachte, er könnte Werke Debussys gekannt haben (was unwahrscheinlich ist; »La Mer« etwa ist von 1903). Nicht nur die neuartigen Harmonien, auch die Orchestrierung und der komplizierte, virtuos perlende, ja funkelnde Klaviersatz tauchen das Konzert in ein farbenprächtiges Licht. Solist und Orchester brillierten also gemeinsam und gaben eine denkwürdige Aufführung, die auch meine Begleiter tief beeindruckte. Fürwahr ein grandioses Klavierkonzert, vielleicht mein liebstes. Und jetzt weiß ich auch wieder, warum. – Dass mich das Thema des langsamen Satzes immer an »All by myself« von Céline Dion erinnert, mag Zufall sein. Vielleicht hat sich aber auch der Schreiber des Songs von Rachmaninow »inspirieren« lassen…

Nach der Pause erlebten wir die Uraufführung von »Silent Echoes« der Türkin Füsun Köksal. Ein Stück für zwei kleine Streichorchester, die einander gegenüber auf der Bühne saßen. Spätestens jetzt fragte ich mich, was denn die Harfe auf der Bühne soll, denn sie war bisher nicht bedient worden und würde es auch nicht bei Beethoven. Wie dem auch sei, Köksals Stück war etwa 6 min. lang und hat mich nicht abgeholt. Da halfen auch nicht die erklärenden Worte des Dirigenten. Ein wenig dramaturgische Entwicklung, aber keine erkennbaren Rhythmen oder Harmonien, oft nicht einmal definierte Tonhöhen, geschweige denn Themen. Das »Thema« waren Seufzer, die als Glissandi oder über reine Effekte artikuliert wurden. Ein Stück, dass in der Zukunft wohl keinen bleibenden Wert haben wird. Ob es den Menschen heute etwas zu sagen hat, möchte ich nicht beurteilen.
Als letztes freuten wir uns dann, die Symphonie Nr. 8 F-Dur op. 93 von Ludwig van Beethoven zu hören. Die geraden Symphonien stehen ja etwas im Schatten der ungeraden, und die 8. besonders, was mir nicht erklärlich ist. Das Orchester machte deutlich, was das Werk alles kann: Ich empfand die Aufführung kaum weniger dramatisch als die 5. letzte Woche, das Werk ist knackig kurz und dabei so voller origineller Einfälle, dass es doch eigentlich seine Fans finden müsste. Einzig einen langsamen Satz würde ich mir wünschen, denn das Allegretto an zweiter Stelle nimmt diese Rolle eben gerade nicht wahr. Was ja auch eine Idee ist, die man erst einmal haben muss.
Insgesamt war es also ein rundes, wunderschönes und erfüllendes Konzert mit toller Musik, die auch noch großartig dargeboten wurde. Wenn dann nicht der Dirigent die Zugabe angekündigt hätte mit den Worten »Wir haben zwar nur eine, aber die« – und dann eine ausladende Geste, will sagen, die hat es in sich. Was kam? Das ganze große Orchester saß bereits auf der Bühne (incl. Harfenistin!), und dann kam die Ouvertüre zu Richard Wagners »Die Meistersinger von Nürnberg«! Das ist in der Tat ein Brocken und eine großartige Überraschung gewesen. Das Stück ist so etwas wie mein Lieblingswagner, und ich hatte es bisher nur ein einziges Mal, nämlich bei einem Opernbesuch, live gehört. Beeindruckend, wie Wagner hier die Leitmotive vorstellt, dann kontrapunktisch verarbeitet, das Ganze scheinbar überwiegend diatonisch (was es sicher nicht ist), bis zum ersten späten Beckenschlag immer weiter Spannung aufbaut, die sich nach der lange gehaltenen Subdominante endlich in überschwänglichem Jubel entlädt. Und das wäre ja eigentlich erst der Anfang einer rund viereinhalbstündigen Oper! Beeindruckend ebenso, wie souverän Cem Mansur am Pult (der übrigens, vielleicht bis auf das moderne Stück, alles auswendig dirigiert hat!) mit seinem Orchester diese Aufgabe meistert. Hier haben wir wirklich einen großartigen Klangkörper erlebt, dieser Abend gehört sicher zu den Top 5 des Jahres und wird noch lange in Erinnerung bleiben.

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