Letzten Freitag war ich im Konzerthaus zu Gast, diesmal allein. Das Konzerthausorchester spielte unter dem jungen spanischen Dirigenten Antonio Méndez Werke von Messiaen, Ravel und Rachmaninow.
Ein Frühwerk von Olivier Messiaen eröffnete den Abend: »Les Offrandes oubliées« – sein erstes Werk für großes Orchester, 1930 entstanden. Was für Bartók die ungarische Volksmusik, waren für Messiaen die Vogelstimmen. In diesem Orchesterstück sind sie allerdings noch nicht prominent zu hören gewesen, ebenso wenig das ewige Geklapper des Schlagwerks, das mich in der späten Turangalîla-Symphonie ziemlich genervt hat. Was es aber zu hören gab, war ein für die Zeit modernes, angenehm hörbares Stück – nicht die Sperspitze der Avangarde, aber durchaus originell. Inhaltlich geht es um den Menschen in Sünde, die Güte Gottes usw., also dezidiert geistliche Themen. Das Werk beginnt und endet mit einem langsamen Teil, in der Mitte ein heftig-schneller Abschnitt (»vif, désespéré«), der den Weg des sündigen Menschen in den Abgrund darstellen sollte… Für mich war es absolut-musikalisch gesehen eine Art französische Ouverture in neuem Gewand. Sehr schön zu hören und ein guter Start in den Abend.
Es folgte das Klavierkonzert G-Dur von Maurice Ravel mit Javier Perianes am Flügel. Hier überraschte mich erneut (ich hatte das Werk irgendwann schon ein paar Mal gehört) die Farbigkeit und Originalität der Instrumentation, natürlich eine Spezialität von Ravel. Alles klang leicht, duftig. Ich verzichtete schnell darauf, dem formalen Ablauf der Sätze folgen zu wollen, und ergab mich dem Klangzauber, der von der Bühne in den 1. Rang wehte.
Nach der Pause gab es die 2. Symphonie e-Moll op. 27 von Sergej Rachmaninow. Eine meiner ewigen Top-3-Symphonien! Etwas verwundert war ich über die Angabe »50 min.« im Programmheft. Selbst, wenn die Wiederholung im ersten Satz nicht gespielt wird, dauert die Symphonie eine knappe Stunde.
Wie dem auch sei, ich war gespannt, wie der junge Spanier das Werk interpretieren würde. Immerhin war er mit knapp 35 Jahren exakt so alt wie Rachmaninow, als er es komponierte. Und ich kann nur sagen, er machte es gut, sehr gut. Russische Symphonik im allgemeinen und dieses Werk im besonderen klingt immer groß, ernst, tief, manchmal traurig und immer hochemotional. Allein die Einleitung zum ersten Satz ist ein Klanggemälde mit wunderschönen Kantilenen und einem eigenen leidenschaftlichen Höhepunkt. Hier wird der motivische Grundstein gelegt für alles, was folgt. Leider spielte Méndez die Wiederholung im Kopfsatz tatsächlich nicht, was die Proportionen insgesamt verschiebt, und ich meine nicht zum Guten. Man sollte sowieso die wundervolle Exposition zweimal hören können…
Das Scherzo kam anfangs etwas überstürzt daher, etwas später pendelte sich das Orchester auf einem flotten, aber nicht hastigen Tempo ein. Rachmaninow spielt hier mit witzigen Kurztonmotiven, Staccati, fugierten Abschnitten, dazwischen ab und zu Glockenspiel, und verbindet aber alles mit dem immer fließenden, symphonischen Gestus, der dem ganzen Werk eigen ist. Meisterhaft baut er immer wieder das Motto der Symphonie aus der Einleitung des Kopfsatzes in seine motivische Arbeit ein.
Das Adagio beginnt mit einer langen Kantilene der Klarinette, später behalten oft die Streicher die Oberhand, getaucht in die warmen Farben der Bläser. Dieser Satz ist eine einzige sehnsüchtige Schwelgerei und bietet die größte Gefühlstiefe dieses ohnehin schon emotional hochgeladenen Werks. Eine der schönsten Stellen ist für mich der große Höhepunkt mit der langen Generalpause danach; wenn dann die Streicher wieder einsetzen und die Solovioline das Seitenthema singt, ist man im Himmel. So wunderte es mich auch nicht, dass nach diesem Satz ein leichter Zwischenapplaus einsetzte (wohlbemerkt das einzige Mal an diesem Abend). Etwas gestört hat es mich natürlich schon, aber es war als eine Reaktion Musikverständiger, die gerade etwas sehr Bewegendes erlebt hatten, verständlich und nachvollziehbar.
Das Finale setzte einen temperamentvollen Schluss-Strich unter das Werk. Zum ersten Mal nahm ich bewusst die vielen motivischen Bezüge zu den anderen Sätzen war, die Rachmaninow hier untergebracht hat. Auch interessant, wie er sich teilweise in den Alterationen seiner Septnonakkorde (oder was es auch immer ist) »verheddert« und taktelang den tonalen Boden unter den Füßen verliert. Die Musik scheint zu schweben, bis sie schließlich irgendwann auf einen deutbaren Dreiklang absinkt. In diesem Satz hat auch endlich das Becken mehr zu tun – leider agierte der Percussionist hier äußerst schwachbrüstig, und sein Instrument klang teilweise geradezu pappig. Das war schade und der großen Kraft, die die Symphonie ansonsten ausstrahlt, nicht angemessen. In der Coda griff er endlich etwas stärker zu, aber für meinen Geschmack hätte es durchgängig mehr sein müssen.
Der Abend insgesamt war sehr gelungen, Rachmaninow hinterließ mich überglücklich und mit einem breiten innerlichen Grinsen. Diese Symphonie wird noch lange in meiner Top 3 bleiben.