Am Montag fand das Abschlusskonzert von Young Euro Classic 2018 statt: Das Schleswig-Holstein Festival Orchestra musizierte unter Leitung von Wayne Marshall Werke von Leonard Bernstein und Erich Wolfgang Korngold. Zuvor lobte Patricia Schlesinger als Patin des Abends sehr zu Recht die Qualitäten des Orchesters und des Festivals und kündigte bereits YEC 2019 an, auf das auch ich mich seit vorgestern Abend freue.

Die Symphonische Suite »On the Waterfront«, die den Abend eröffnete, war mir nicht bekannt. Sie bot besten Bernstein: frische, rhythmische Musik, sehr vielseitig, spannend instrumentiert, mit Anklängen an Blues und Jazz – sie atmete den Geist Amerikas im frühen und mittleren 20. Jahrhundert.

Es folgte das Violinkonzert D-Dur op. 35 von Korngold. Der Komponist verarbeitete hier eigene Themen aus Filmmusiken, was zwischendurch auch zu hören war. Weit beeindruckender als die schöne, spätromantische Musik war allerdings der Solist: Charles Yang, ein Amerikaner (vermutlich) chinesischer Abstammung, 28 Jahre alt. Er trat auf in weißem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, dazu eine schwarze Weste – und schwarzweiße Turnschuhe! Er spielt ohne Noten, geht in die Knie, tänzelt, windet sich mit der Musik, sein Instrument singt in den höchsten Tönen… Eine wahre Freude, diese Performance mit anzusehen! Entsprechend hart war der Applaus im ausverkauften Konzerthaus (viele haben es sich bereits nach dem Kopfsatz nicht nehmen lassen, ihre Begeisterung und ihr mangelndes Gespür für Binnenspannung kundzutun), und so war es keine Überraschung, dass wir noch eine Zugabe hörten.
Doch was war das? Yang setzt an, spielt ein paar Noten, scheint zu improvisieren. Es klingt amerikanisch – ein Blues? Ich staune noch über seine stilistische Bandbreite, da animiert er die Konzertmeisterin, mit ihm zu spielen. Weitere Spieler stimmen ein. Schließlich spielen alle Streicher einen pizz.-Beat, und bevor ich erkannt habe, was es ist – fängt Yang plötzlich an zu singen: »Stand by me« von Ben E. King. Und er ist gut. Un-glaub-lich! Fingerschnippen in den Bläsern, jetzt soll auch das Publikum mitmachen. Er singt den ganzen Song durch, tosender Beifall. Ich bin kurz davor, mich zu erheben vor so viel Talent.
Aber es kommt noch mehr. Nachdem er noch ein paar Mal ab- und wieder aufgegangen ist, hat er plötzlich den Dirigenten dabei, der sich an den Flügel setzt. Und jetzt beginnt eine spontane Jamsession, in der sich beide die Bälle zuspielen. Sie begleiten sich gegenseitig, die Soli wechseln sich ab; irgendwann entscheiden sie, dass es nun gut ist, und finden zu einem witzigen Abschluss. Wir haben insgesamt eine knappe Viertelstunde Zugaben gehört und gehen völlig perplex und geflasht, um mal ein Modewort zu verwenden, in die Pause.

Im zweiten Teil gab es weitere Werke von Bernstein zu hören, als erstes die Symphonischen Tänze aus »West Side Story«. Hier war sehr viel Bekanntes dabei, und es war spannend, diese Musik einmal live zu erleben. Insbesondere die Schlagzeuger haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Interessanterweise fehlte einiges in der Suite, so kam »America« nicht vor, ebenso sind mir »Tonight« und »Something’s coming« nicht aufgefallen. Aber wahrscheinlich wäre das Stück einfach zu lang geworden, hätte Bernstein alle Hits aufgenommen.
Den Abschluss des Konzerts bildete die Ouvertüre zu »Candide«. Nochmal vier Minuten Tonfeuerwerk, denen man kaum noch etwas hinzufügen kann. Und somit gab es trotz der Kürze der zweiten Konzerthälfte auch keine Zugabe des Orchesters. Zwischendurch war ich mir nicht sicher, denn während des Schlussbeifalls kamen die Musiker, die bei »Candide« nicht gespielt hatten, mit ihren Instrumenten (!) auf die Bühne, während sich das Orchester schon selbst feierte und zum gelungenen Auftritt beglückwünschte. Das Saal-Licht schien auch nicht so recht zu wissen, was los ist, und dimmte Saal und Bühne mal heller, mal etwas dunkler… Schließlich war klar: Das war es. Wir verließen hochzufrieden und angefüllt mit hochrhythmischer, energetischer Musik und großartigen Eindrücken das Konzerthaus.

Schlussbemerkung: Meistens habe ich nach einem Konzert das Gefühl, etwas Besonderes erlebt zu haben. Bei Young Euro Classic ist dieser Eindruck oft besonders stark. Aber diese YEC-Saison hat dem Ganzen für mein Empfinden die Krone aufgesetzt.
Da war Bartóks Konzert für Orchester mit dem JONDE aus Spanien. Da waren mehrere Werke von Richard Strauss, allen voran Zarathustra op. 30. Da waren die bewegenden Chor-Zugaben des kanadischen Orchesters. Da war die 14. Symphonie von Schostakowitsch – für mich eines seiner ungewöhnlichsten, tiefsten und wichtigsten Werke, wenn nicht des 20. Jahrhunderts. Da war die 5. von Tschaikowsky in einer lebensbejahenden, überwältigenden Fassung des EUYO, zuletzt die kraftvolle Musik Bernsteins, und dann Charles Yang als Solist mit seinem unfassbaren Talent.
Das alles erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit. Von diesen Erlebnissen werde ich noch lange zehren, und schon jetzt freue ich mich auf den nächsten (regulären) Konzertbesuch im Oktober.

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