Gestern war ich erneut zu Young Euro Classic im Konzerthaus. Zum ersten Mal gastierte das National Youth Orchestra of Canada in Berlin und brachte ein erstaunliches Programm mit. Der erste Höhepunkt des Abends war aber bereits die einführende Rede des Paten Ulrich Deppendorf. Pointiert stellte er die Vorzüge des Herkunftslands der Musiker (besonders im Vergleich zu seinem Nachbarn) heraus: die beeindruckenden Landschaften, die politische und gesellschaftliche Einstellung der Bevölkerung, das gute Aussehen der Spitzenpolitiker… Beinahe nach jedem Halbsatz gab es Zwischenapplaus.

Das Konzert begann schließlich mit der »Catfish Row«-Suite aus »Porgy and Bess« von George Gershwin. Ich kenne die Oper nicht, einige der Melodien waren mir geläufig (»Summertime«, die Nummer mit dem Banjo – der Solist erhielt ebenfalls Szenenapplaus), ansonsten war es Gershwin, wie man ihn kennt und erwartet.

Das zweite Werk vor der Pause war abermals von Richard Strauss. (Dieses Jahr scheint es hier einen Schwerpunkt zu geben.) Es erklang das späte Hornkonzert Es-Dur. Dass ich Hornkonzerte nicht besonders mag, kann man dem Stück nicht vorwerfen. Das Werk ist für kleines Orchester gesetzt, der etwas altersmilde Strauss hat hier eine aparte Musik geschrieben, die zwar kontrapunktisch und geistreich, aber nicht so brachial dramatisch klingt wie seine frühen und mittleren Tondichtungen. Der junge Solist Martin Mangrum spielte – soweit ich das beurteilen kann – äußerst virtuos. Der charmante Dirigent Jonathan Darlington erinnerte mich auf dem Foto etwas an Richard Gere; auf der Bühne machten er und auch das Orchester ihre Sache sehr gut. Meine Lieblingsstelle im Stück kam gegen Ende, als der Solist mit den beiden Hörnern im Orchester einen akkordischen Block bildete. Hornkantilenen jedoch, von denen das Werk viele zu bieten hat, sind meine Sache nicht.

Bis hierhin dachte ich, über den Konzertabend gar nicht schreiben zu müssen. Aber dann! Nach der Pause hörten wir die deutsche Erstaufführung von »Moontides« aus der Feder von John Estacio, einem der führenden Komponisten Kanadas. Hier hatten wir es mit einer äußerst abwechslungsreichen, leidenschaftlichen Musik zu tun, die auf jeden Fall wieder gehört werden will. Stilistisch weitgehend postromantisch bzw. frei chromatisch, schienen besonders an den Höhepunkten immer wieder tonale Wendungen durch, die beinahe an Filmmusik denken ließen. Der effektvolle Einsatz der Percussion sorgte dafür, dass auch der Neuen Musik weniger zugetane Hörer hier mit Sicherheit auf ihre Kosten kamen. Das zehnminütige Werk war fast zu schnell vorbei, von dieser Musik hätte ich gern noch mehr gehört. Mit diesem Komponisten werde ich mich also noch genauer befassen.

Den Abschluss des Konzerts bildete »Le Poème de l’extase« op. 54 von Alexander Skrjabin. Hier hatte ich Bedenken; vor geraumer Zeit hörte ich mal ein Orchesterstück Skrjabins (ich meinte, es wäre op. 54 gewesen), das ich in punkto Ausdruck und Instrumentation als maß- und geschmacklos empfand. Aber offenbar hatte ich mich geirrt. Was wir hörten, was ein faszinierendes Klanggemälde: Üppig und originell instrumentiert führte uns der Komponist auf seinem eigenen Weg aus der Tonalität heraus, und nach mehreren großen Steigerungswellen endet das Werk in Extase: reines C-Dur, tutti, fortissimo.

Am Ende begeisterter Applaus, der Dirigent lässt wie üblich die einzelnen Solisten und Orchestergruppen aufstehen, am Ende stehen alle – und drehen sich sogar um und verbeugen sich vor den hinter der Bühne Sitzenden. Kommt nun noch eine Zugabe? Wir hofften und warteten und klatschten. Ja, sie kam. Der Dirigent gab den Einsatz, aber das Orchester stand noch – und begann zu singen! Ein offenbar französischer Chorsatz mit gelegentlichen Bodypercussion-Einlagen. Zuerst war ich erstaunt und erfreut über diese originelle Idee, kurz darauf gerührt und ergriffen von dem Fakt, dass die Menschen, die den ganzen Abend für uns Musik gemacht hatten, nun zu uns sprachen. Alle. Für mich erzeugte das ein besonderes Gefühl der Verbundenheit. Das Publikum feierte diese Idee, es gab stehende Ovationen. Aber der Dirigent nötigte die Leute, sich hinzusetzen: Er wollte auch die zweite Zugabe loswerden. Es war wieder ein Chorsatz, diesmal in englischer Sprache, ruhiger gehalten mit wunderschönen Quartvorhalten in den Mittelstimmen. Der Text handelte von Musik, so viel habe ich verstanden. Abermals stehende Ovationen und langanhaltender Beifall. Als dritte Zugabe und Zeichen, dass es nun wirklich zu Ende ist, hörten wir das erste Chorstück noch einmal. Beseelt verließen wir das Konzerthaus nach einem Abend, der relativ gewöhnlich begann und so besonders endete!

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